Kapitalmarktausblick 10/20
Blasen, Crashs und lineares Denken – aktuelle Auffälligkeiten am Kapitalmarkt
Mitte Februar 2020 war die Welt noch in Ordnung. In der chinesischen Provinz in Wuhan – in China haben laut Wikipedia auch Städte wie Wuhan mit 8,1 Mio. Einwohnern lediglich den Status einer „Unterprovinzstadt“ - wütete ein bis dahin unbekannter Virus.
Da in Europa oder Amerika Affenhirn und Flughund nicht auf dem Speiseplan stehen, glaubte man in der westlichen Welt, dieses Problem ignorieren zu können. Der DAX stellte mit 13.800 Punkten einen neuen historischen Rekord auf, ebenso der weltweite Aktienindex (MSCI All Countries). Die Konjunktur lief gerade nur so gut, dass man keine Angst vor steigenden Zinsen haben musste, und die Arbeitslosigkeit war überall stark gesunken.
Plötzlich wurden Infektionen mit dem neuen Virus in Norditalien und im österreichischen Skiort Ischgl bekannt. Innerhalb von vier Wochen brach der Aktienmarkt in Deutschland um fast 40% und auch weltweit um über 30% ein. Die Regierungen hatten mit einem „Lockdown“ die Wirtschaftstätigkeiten stark eingeschränkt, um die rapide Ausbreitung der Krankheit zu stoppen.
Gut 6 Monate später steigen die Infektionszahlen nach kurzer Eindämmung in vielen Ländern erneut stark an, die Wirtschaftsleistung hat noch längst nicht wieder das Niveau vom Jahresanfang erreicht und Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung sind überall bedrohlich schnell angestiegen. Der Aktienmarkt hat jedoch scheinbar den Virus vergessen; die Aktienkurse stehen nach einem schnellen und starken Anstieg in Deutschland wie im weltweiten Durchschnitt nur noch wenige Prozent unter den historischen Rekordwerten.
Am Beispiel dieses kurzen, aber heftigen Aktiencrashs kann man einige allgemeingültige Eigenschaften von Kapitalmärkten deutlich machen, die wir auch in Zukunft nutzen können und werden.
Der Wert einer Kapitalanlage, also auch einer Aktie, besteht unstrittig aus allen künftig erwarteten Erträgen (Dividenden und Verkaufserlös). Dabei haben in Zeiten extrem tiefer Zinsen auch solche Erträge einen beträchtlichen Wert, die erst in vielen Jahren anfallen. Ein- bis zweimal pro Dekade wird dieser Tatbestand jedoch von den meisten Anlegern – auch den Profis – völlig vergessen. Wenn die Aktienkurse stark fallen, konzentrieren sie sich ausschließlich auf den kurzfristigen Kursverlauf und fangen an, linear zu denken – sie schreiben den aktuellen Trend einfach fort.
Ein einfaches Beispiel zeigt, worin der Fehler besteht. Der Besitzer eines in gutem Zustand befindlichen Mietshauses mit 4 Wohnungen á 12.500 € Mieteinnahmen möchte dieses zum 20-fachen der Gesamtmiete (50.000 €) verkaufen, also für 1.000.000 €. Beim Notartermin erklärt der sehr interessierte Käufer, er könne leider nur 500.000 € zahlen, da er festgestellt habe, dass 2 Wohnungen leerstehen würden. Jeder wird an dieser Stelle einwenden, das sei Unsinn, weil ja die leeren Wohnungen nur neu vermietet werden müssten, um wieder die 50.000 € Gesamtmiete zu erreichen. Der Verkäufer wird daher allenfalls ein paar tausend € Preisnachlass für den kurzfristigen Mietausfall gewähren, aber mit Sicherheit nicht 500.000 € oder 50% Wertverlust.
Genau dies ist aber am Aktienmarkt vielfach passiert. Die Analysten prognostizierten im März plötzlich starke Gewinneinbrüche der meisten Firmen für das erste und vor allem zweite Quartal 2020 wegen des „Lockdowns“, die sich später auch als durchaus korrekt erwiesen. Aber sie bezogen sich eben nur auf wenige Monate.
Inzwischen wird – wieder einmal – deutlich, dass lineares Denken (die Wirtschaft wird runtergefahren, die Firmengewinne brechen auf breiter Front ein, es wird viele Pleiten geben, also raus aus Aktien) am Aktienmarkt nicht funktioniert. Die Kapitalmarktteilnehmer sind nämlich Menschen wie alle anderen auch, und diese ändern in Krisenzeiten seit Millionen von Jahren ihr Verhalten, so dass die lineare Trendfortschreibung in die Irre führt. Drei für Wirtschaft und Kapitalmarkt entscheidende Akteure vollziehen seit Jahrzehnten in einer Krise einen drastischen Richtungswechsel:
- die Firmenvorstände führen einschneidende Kostensenkungen durch, die sie in normalen Zeiten niemals gegen Politiker, Gewerkschaften und Betriebsräte hätten durchsetzen können. Aktuell kann plötzlich die Digitalisierung überall stark beschleunigt werden; die Bedenkenträger halten sich vornehm zurück
- die Regierungen helfen den Firmen mit Konjunkturprogrammen, aber auch direkten Hilfen wie dem Kurzarbeitergeld, das für die Firmen hohe Ersparnisse bei den Lohnkosten bedeutet. Die davon betroffenen Mitarbeiter können ihren Konsum weitgehend aufrechterhalten, so dass die Firmen weiterhin ihre Produkte verkaufen können
- Die Zentralbanken leiten frisches Geld in die Wirtschaft; in den USA wurden sogar wöchentlich Schecks an alle Arbeitslosen versendet; bis nach Österreich ergoss sich diese amerikanische Geldflut aus der Notenpresse.
Alle drei Einflussfaktoren tragen zur Stabilisierung und danach Steigerung der Firmengewinne bei, so dass die aktuell erkennbare Verbesserung keine Überraschung sein kann. Die Corona-Krise war also kein linearer Fall ins Bodenlose, sondern ein kurzer, heftiger Einbruch der Aktienkurse und der Konjunktur. Dann veränderten Firmenleitungen, Politiker und Zentralbanker ihr Verhalten massiv, und damit beginnt ein erneuter Aufwärtstrend für Aktienkurse, Konjunktur und Firmengewinne.
Lineares Denken ist in der Finanzwelt dankenswerterweise tief verankert. Es wird auch in der nächsten Krise kurzzeitig dominieren. Diese wird wohl eher nicht die zweite Corona-Welle sein - die Börsen gewöhnen sich meistens schnell an einen bedrohlichen, aber bekannten Sachverhalt. Dagegen wären vielleicht militärische Drohgebärden von China gegenüber Taiwan oder politisches Chaos in den USA bei einer Wahlniederlage von Trump – falls Trump die Niederlage nicht eingesteht – ein Auslöser für lineares Denken.
Dieses entstand beim ersten Irak-Krieg 1990/1991, beim Zusammenbruch des Europäischen Währungssystems 1992, während der Beinahe-Pleite Russlands und des riesigen LTCM-Hedgefonds im Herbst 1998, beim zweiten Irak-Krieg 2003 und nach der Pleite von Lehman-Brothers im Herbst 2008.
Jedes Mal hatten die Aktienkurse sich in einigen Fällen schon nach anderthalb Jahren mehr als verdoppelt, obwohl die Auguren beim Beginn der jeweiligen Krise zuverlässig den Weltuntergang vorhergesagt hatten.
Damit kommen wir zu der Frage, ob und wo angesichts der vielen Unsicherheiten am Kapitalmarkt entsprechende große Risiken bestehen. Die nachfolgende Grafik zeigt, dass politische Krisen wie Kriege oder die durch den arabisch-israelischen Konflikt ausgelöste 1. Ölkrise nicht zu nachhaltig dramatischen Kurseinbrüchen am US-Aktienmarkt geführt hatten.
Spekulationsblasen sind gefährlicher. Diese gingen den drei stärksten Kurseinbrüchen der letzten 150 Jahre (roter Text) voraus. In allen drei Fällen hatte jahrelange Euphorie die Bereitschaft für eine hohe Kreditaufnahme für Aktien- (Große Depression 1929-1932, Technologieblase 1999-2000) oder Immobilienkäufe (Finanzkrise 2008-2009) ausgelöst. Die Verschuldung machte dann bei den ersten Kursrückgängen panikartige Verkäufe notwendig; das lineare Denken setzte ein.
Seit Beginn meiner beruflichen Laufbahn 1986 habe ich mich mit der Entstehung und den Merkmalen von Spekulationsblasen beschäftigt. Dabei wurde immer wieder erkennbar, dass sich der nach dem zweiten Weltkrieg wesentlich gestiegene Einfluss des Staates auf die Wirtschaft auch auf die Entstehung von Spekulationsblasen erstreckte. Politiker haben seitdem offenbar die Erzeugung von Spekulationsblasen als Staatsaufgabe angesehen (bitte weiterlesen, auch wenn Ihnen diese These zunächst einmal sehr steil erscheint).
Um eine neue Große Depression oder einen neuen Hitler zu vermeiden, wollten viele Staaten die persönlichen Risiken des Individuums dadurch senken, dass man durch den massiven Ausbau des Sozialstaates persönliche Notlagen infolge von Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter abzumildern beabsichtigte.
Auch die Unternehmen sollten durch Konjunkturprogramme vor allzu starken Umsatzeinbrüchen mit der Folge von Unternehmenspleiten geschützt werden, wie es in der jetzigen Corona-Krise in besonderem Masse zu sehen ist.
Leider pervertierte man diese grundsätzlich nicht falsche Idee, indem man seit den siebziger Jahren staatliche Anreize für Investitionen setzte, die die Anleger ohne solche Hilfestellung nicht getätigt hätten.
Wenn diese Anreize besonders erfolgreich waren, verursachten sie die großen Spekulationsblasen der letzten Jahrzehnte:
- Die Doppelblase am japanischen Immobilien- und Aktienmarkt
- Der Ostimmobilienboom in Deutschland
- Der Technologieboom an den weltweiten Aktienmärkten
- Der „Subprime“-Boom in den USA und der Immobilienboom in vielen europäischen Ländern vor 2007
- Die aktuelle Blase in Staatsanleihen, die größte Blase aller Zeiten
1. Die Doppelblase am japanischen Immobilien- und Aktienmarkt
Zu Beginn der 80er Jahren wollte die japanische Regierung ein wirtschaftliches Problem mit Investitionsanreizen lösen. Damals war Japan für die US- Regierung ein ähnlich gefährlicher Gegner wie China heute. Amerika hatte unter Präsident Reagan ab 1981 begonnen, die Sowjetunion tot zu rüsten, was nach zehn Jahren auch gelungen war. Dazu hatte man die Staatsschulden stark erhöhen müssen, und die Japaner lieferten der boomenden US-Wirtschaft alles, was diese benötigte.
Das Handelsbilanzdefizit der Amerikaner stieg auch wegen eines boomenden Dollarkurses stark an. 1985 begann die Reagan-Regierung, die Japaner mit Zöllen zu bedrohen, falls sie nichts gegen den schwachen Wechselkurs des Yen unternähmen. Bis hier ähnelt diese Geschichte stark dem, was wir heute im Handelskrieg USA-China erleben. Der damalige Konflikt endete damit, dass die Japaner nachgaben und ihren Wechselkurs steigen ließen.
Um den Exportunternehmen einen Ausgleich für die Umsatzausfälle zu verschaffen, erfanden japanische Politiker zum ersten und bisher einzigen Mal in der Geschichte der Finanzbuchhaltung das Höchstwertprinzip. Diese perverse Idee bildete die Basis für eine gigantische Spekulations- und Verschuldungsorgie, deren Folgen Japan auch 35 Jahre später nicht überwunden hat.
Unternehmen durften nämlich Immobilien im Eigenbesitz in der Bilanz steuerfrei zum aktuellen Wert ansetzen, auch wenn dieser weitaus höher war als der Wert zum oft lange zurückliegenden Kaufzeitpunkt.
Die Vorstände der börsennotierten Unternehmen taten dies mit großer Begeisterung, denn plötzlich konnten sie mehr Eigenkapital ausweisen; die Firmen erschienen plötzlich viel wertvoller als vorher. Die Börsenkurse reagierten darauf sehr positiv. Außerdem durfte man auch bei Aktienkäufen statt des Kaufkurses den Tageskurs am Bilanzstichtag verwenden, wenn dieser höher war.
Damit wurden kreditfinanzierte Aktienspekulationen für Großunternehmen zu einer risikolosen Investition. Man nahm im allergrößten Stil Kredite auf, um Aktienpakete zu kaufen, was die Kurse weiter steigen ließ.
Die rückläufigen Erträge wegen schwacher US-Exporte interessierten niemanden mehr, die Kurssteigerungen der gekauften Aktien stellten alles andere in den Schatten.
Lineares Denken gibt es eben auch bei steigenden Kursen. Ende Dezember 1989 erreichte der japanische Aktienindex Nikkei mit fast 40.000 Punkten (aktuell 23.000 Punkte) den höchsten Stand aller Zeiten.
Die Dividendenrendite hatte – in der Wirtschaftsgeschichte bis dahin ebenfalls einmalig – einen Tiefststand von 0,4% erreicht. Staatsanleihen brachten jedoch 6,4% p.a. Verzinsung, Kredite an Unternehmen waren noch teurer. Die Mietrendite von Immobilien in Tokio war auf 0,5% gefallen. Nach der Silvesterfeier 1989 bemerkten die Investoren, dass alle diese Investments hoch defizitär waren, wenn weitere Kurssteigerungen ausblieben.
Die Verkäufe setzten ein. Seitdem hat sich der weltweite Aktienmarkt – der Ende 1989 zu über 40% aus japanischen Aktien bestand – verachtfacht, der japanische fast halbiert. Die Staatsschulden Japans haben den höchsten Stand aller Industrieländer in Friedenszeiten erreicht, und Japan stagniert seit 30 Jahren.
Zur Erinnerung: der Auslöser war die fatale Idee japanischer Politiker, das Höchstwertprinzip zur Behebung eines kleinen Problems einzuführen.
2. Der Ostimmobilienboom in Deutschland
Der Versuch der Bundesregierung, durch massive Förderung privater Immobilieninvestitionen den heruntergekommenen Immobilienbestand der verblichenen DDR zu sanieren, löste ab 1991 den Ostimmobilienboom aus. Immobilienkäufer durften 50% des Kaufpreises einer ostdeutschen Immobilie sofort von der Einkommensteuer abziehen, was einem Preisnachlass von über 25% des Kaufpreises entsprach. Aufgrund der gewaltigen Nachfrage von Steuersparern konnten die Anbieter die Preise kräftig hochsetzen.
Meine undankbare Hauptaufgabe war es, als 30-jähriger Grünschnabel gestandenen Unternehmern vorzurechnen, dass sie damit viel Geld verlieren würden. Die Mietrenditen dieser Objekte lagen nämlich unter Berücksichtigung des Steuervorteils höchstens bei 3%, die Hypothekenzinsen erreichten aber fast 10% p.a.. Ich war nun zwar unbeliebt, aber unsere Kunden sparten viel Geld.
Wegen der hohen Vermögensverluste der Gutverdiener war Deutschland ab 1995 zehn Jahre lang der kranke Mann Europas, wegen dem die EZB die Zinsen in der Eurozone niedrig halten musste. Auch hier richtete der staatliche Anreiz Schäden an, die den Nutzen bei Weitem übertrafen.
In die gleiche Kategorie fallen die steuersparenden Film- und Schiffsfonds, die deutschen Anlegern Milliardenverluste bescherten. Auch hier haben wir niemals investiert.
3. Der Technologieboom an den weltweiten Aktienmärkten
Der Technologieboom Ende der 90er Jahre war eine Spätfolge der Japan-Phobie der 80er Jahre (siehe oben). Die Amerikaner hatten in den 80er Jahren begonnen, die Entlohnung der Vorstände, bei wachsenden Technologieunternehmen auch bei den übrigen Mitarbeitern mit der Vergabe von Aktienoptionen stark an den Aktienkurs zu koppeln.
Wenn die Belegschaft bei gestiegenen Aktienkursen die Gewinne realisierte, durften die Firmen die ihnen dabei entstehenden Kosten (man kaufte die Aktien teuer zurück, die die Mitarbeiter billig über Aktienoptionen erworben hatten) über das Eigenkapitalkonto verbuchen, so dass die Kosten nicht in der Gewinn- und Verlustrechnung auftauchten. Amerikanische Wirtschaftsprüfer prangerten dies als unseriös an. Die US- Regierung ließ diese irreführende Buchhaltung jedoch zu, weil ihr die Chefs der großen Technologiefirmen eingeredet hatten, die USA seien nur noch im Bereich der Software und Hochtechnologie führend. Daher müsse durch eine hohe Bewertung dieser Firmen verhindert werden, dass sich Japaner oder Europäer in diese Firmen einkaufen könnten.
Die Firmen durften daher die riesigen Personalkosten mit staatlicher Erlaubnis verschweigen. Damit stiegen die Kurse stark an, und die Personalkosten sanken, weil immer mehr Mitarbeiter nur noch Aktienoptionen statt Gehalt haben wollten.
Auf dem Höhepunkt dieser Blase waren die Dividendenrenditen im Jahr 2000 mit 0,2% noch unter das Rekordtief in Japan von 1989 gesunken; die Staatsanleihen rentierten jedoch mit 6,7% p.a. (USA) ebenso wie die Kreditzinsen wesentlich höher, so dass immer mehr Firmen und Investoren in Schwierigkeiten gerieten. US-Technologieaktien brachen bis 2003 um 80%, der nachgebaute deutsche „Neuer Markt“ sogar um 97% ein.
4. Der „Subprime“-Boom in den USA und der Immobilienboom in vielen europäischen Ländern vor 2007
Diese vierte Blase entstand wegen der seit Beginn der Globalisierung geringen Lohnsteigerung der Arbeitnehmer. Die Politik wünschte einen leichten Zugang zu großzügigen Krediten für Immobilienkäufe, damit auch Globalisierungsverlierer mit schwachem Einkommen sich schicke Eigenheime leisten konnten und ihren allmählichen Abstieg nicht bemerken. Den Investmentbanken fiel hierzu ein raffinierter Trick ein.
Die Wohnimmobilienpreise in den USA waren bis Mitte der Nullerjahre jahrelang angestiegen. Daher machten Banken auch mit Immobilienkrediten an Geringverdiener keine Verluste, wenn diese den Kredit nicht mehr bedienen konnten. Bei einer Zwangsversteigerung reichte der Verkaufserlös fast immer aus, um den Kredit vollständig zu tilgen. Daher mussten wissenschaftliche Analysen von Kreditausfällen das Ergebnis haben, dass es völlig egal war, ob der Kreditnehmer arbeitslos, einkommensschwach oder wohlhabend war.
Die Banken hatten in dem analysierten Zeitraum wegen der Immobilienpreissteigerungen auch mit eigentlich nicht kreditwürdigen Kunden keine Verluste gemacht. Daher versahen die Ratingagenturen Wertpapiere, die aus hunderttausenden von „schwachbrüstigen“ Immobilienkrediten („Subprime“) zusammengestellt waren, mit den Top- Rating AAA, und der Staat drückte beide Augen zu.
Als die Preise dann ab 2006 fielen, waren die Verluste der Banken, Versicherungen und Pensionskassen, die begeistert diesen Müll gekauft hatten, gigantisch.
Allein deutsche Banken hatten hohe dreistellige Milliardenbeträge verloren; die cleveren Amerikaner hatten einen großen Teil dieser „Wertpapiere“ im Ausland abgesetzt.
5. Die aktuelle Blase in Staatsanleihen
Diese größte Blase aller Zeiten entstand, weil bedauerlicherweise der politisch gewollte Fehler des unsauberen Ratings nicht nur im US-Wohnimmobilienmarkt gemacht wurde.
Überall in den westlichen Demokratien ist es das Hauptziel der Politiker, den Wählern schon heute Konsum, nicht nur von Wohnhäusern, zu ermöglichen, den sie sich vielleicht noch nicht oder nie leisten können.
In der Eurozone wurde genau zu diesem Zweck zu Beginn der Währungsunion von den Politikern festgelegt, dass Staatsanleihen risikolos sind. Dies ist wirtschaftlicher Unsinn, da in der Eurozone keine Regierung über eine eigene Notenbank verfügt, die bei Bedarf Geld drucken und Staatsanleihen unbegrenzt kaufen kann.
Entscheidend ist jedoch, dass Banken und Versicherungen wegen dieser politisch gewollten Risikolosigkeit solche Anleihen unbegrenzt kaufen dürfen.
Auch die meisten Privatanleger glauben an die staatlich definierte Risikolosigkeit. Durch diese ständige Übernachfrage nach Staatsanleihen sind deren Kurse extrem hoch und die Zinsniveaus absurd niedrig. Nachdem Mario Draghi im Sommer 2012 zur Behebung der damaligen Finanzprobleme Italiens und Spaniens ankündigte, wie die anderen Notenbanken schon seit 2008 Geld zu drucken („whatever it takes“), gibt es in der Eurozone keine Geldprobleme mehr.
Auch die Staaten der Eurozone können jetzt wegen der Corona-Krise auf ihren gewaltigen Altschuldenberg neue Schulden draufpacken, und die Zinsen bleiben dennoch auf dem tiefsten Stand aller Zeiten. Mit dem frischen Geld kann man den Wählern etwa via Kurzarbeitergeld in Deutschland oder Dollarschecks in den USA weiterhin Konsum ermöglichen, auch wenn das Einkommen dafür nicht vorhanden ist.
Die Staatsanleihen, mit denen diese Geschenke – unter sozialen Aspekten absolut verständlich – finanziert werden, gelten trotz steigender Schulden und schwacher Wirtschaft weiterhin als völlig risikolos, wie damals die „Subprime“-Anleihen in den USA. Kaum jemand würde sein eigenes Geld zu 1% p.a. Zins für 10 Jahre der italienischen Regierung leihen.
Die Manager von Banken, Versicherungen und Pensionskassen tun es dennoch, weil es nicht ihr eigenes Geld ist und weil der Staat mit der gesetzlich festgelegten Risikolosigkeit einen unwiderstehlichen Kaufanreiz geschaffen hat.
Die Zentralbankkäufe verhindern sicherlich Kurseinbrüche und damit Zinsanstiege, aber sie schaffen auch neues Geld, dem kein neues Warenangebot gegenübersteht.
Auch aufgrund des künftig sinkenden Anteils der Arbeitskräfte an der Bevölkerung sowie der De-Globalisierung werden die Inflationsraten allmählich ansteigen, und dann wird deutlich, dass die Zentralbanken nur den nominalen Wert, aber nicht die reale Kaufkraft sicherstellen können (zu den Inflationsrisiken siehe Kapitalmarktausblick 09/20).
Schon mit den etwas solideren deutschen Staatsanleihen wird man künftig ein Drittel seines Vermögens pro Dekade verlieren. Es ist intellektuell faszinierend, dass solche Anlagen für Altersvorsorgeprodukte nicht nur erlaubt sind, sondern auch noch vorgeschrieben werden.
Beruhigend ist, dass diese Blase die erste sein wird, die nicht platzen wird. Sie ist nämlich im Gegensatz zu den Blasen Nr. 1 bis Nr. 4 von den Staaten nicht zur Behebung von spezifischen Problemen in der Privatwirtschaft oder am Immobilienmarkt geschaffen worden.
Stattdessen soll sie ihr eigenes Überleben trotz jahrzehntelanger Misswirtschaft (gemessen an einer Verschuldung, die weltweit seit 40 Jahren viel stärker steigt als die Wirtschaftsleistung) sicherstellen.
Das Gefährliche an dieser Blase ist jedoch, dass sie die anderen Anlageformen infizieren wird oder schon infiziert hat. Unternehmensanleihen weisen wie Staatsanleihen unfassbar schwache Zinserträge auf. Etliche solide Unternehmen der Eurozone können wie einige Regierungen Anleihen mit negativen Renditen ausgeben.
In einer aktuellen Analyse der UBS wird den Wohnimmobilienpreisen in Städten wie München und Frankfurt bereits Blasenniveau bescheinigt.
Da wir davon ausgehen können, dass der politisch gewollte und für das finanzielle Überleben der Staaten zwingend notwendige Niedrigzins sehr lange bestehen bleiben wird, ist jedoch auch für sehr teure Wohnimmobilien vorerst keine Crashgefahr gegeben. In billigeren Lagen dürften Wohnimmobilien sogar weiter zulegen können, da schon vor Corona zu wenig gebaut wurde und nun der Wunsch nach einem Arbeitszimmer wegen Home-Office die Nachfrage weiter anheizt.
Aktien sind zwar weltweit nicht mehr billig, aber weisen noch immer einen überdurchschnittlichen Renditeaufschlag zu Staatsanleihen auf und sollten ca. 5% Performance p.a. in der nächsten Dekade erwirtschaften. Außerdem dürften Aktien anders als in den 70er Jahren von steigender Inflation jahrelang profitieren können.
Die Staatsschuldenberge lassen einen Zinsanstieg nicht zu, und höhere Inflation, die jetzt auch von den Notenbanken ganz offiziell angestrebt wird, erleichtert die Bedienung der Schulden, weil damit auch die Steuereinnahmen steigen (wegen der progressiven Einkommensteuertarife sogar über-proportional).
Da aber mit höheren Preissteigerungen auch die Umsätze der Firmen steigen, ohne dass die Schulden der Firmen teurer werden, könnten die Gewinne von der Inflation profitieren. Außerdem wird zur Zeit stark digitalisiert. Das Ziel ist die Einsparung von Personalkosten und eine Verringerung des Risikos, wegen dieser oder der nächsten Pandemie die Firma schließen zu müssen.
Damit würde bei einer Inflation auch der kleiner gewordene Personalkostenblock, der natürlich inflationssensitiv ist, die Gewinne weniger belasten.
Insgesamt bleiben die Aussichten für Aktien gut; eine Blasenbildung ist aktuell nicht gegeben, könnte sich aber noch zukünftig ausbilden.
Zusammenfassung
Japanische Aktien- und Immobilien bis Anfang 1990
- Politisch initiierter Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser: Einführung des Höchstwertprinzips bei der Bilanzierung
- Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt: Dividendenrendite 0,4%, Mietrendite 0,5% und Kreditzinsen deutlich höher
- Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt Blase platzen ließ: Anstieg der langfristigen Kreditzinsen von 4% auf über 7% p.a.
Ostimmobilien Deutschland 1990 bis 1995
- Politisch initiierter Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser: Sonderabschreibung Ost in Höhe von 50% der Investitionssumme
- Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt: Mietrendite unter 3% (brutto), damit deutlich tiefer als Kreditzinsen
- Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt Blase platzen ließ: Anstieg der Hypotheken auf 10% p.a. und Auslaufen der Sonderabschreibung
Technologieboom weltweit bis 2000
- Politisch initiierter Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser: Personalaufwand durfte in der Gewinn- und Verlustrechnung verschwiegen werden
- Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt: Dividendenrendite 0,2% und Kreditzinsen deutlich höher
- Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt Blase platzen ließ: Anstieg der langfristigen Zinsen um 2%, massenhafte Börsengänge neuer Firmen
Immobilienboom in USA („Subprime“) und Europa exkl. Deutschland bis 2007
- Politisch initiierter Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser: Staatlich geduldete geschönte Ratings für Hypotheken an bonitätsschwache Kreditnehmer
- Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt: Mietrenditen deutlich unter den Kreditzinsen
- Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt Blase platzen ließ: Zinsanstiege, Pleitewellen bei den einkommensschwachen Käufern
Staatsanleihen
- Politisch initiierter Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser: Politische Regelungen, dass Staatsanleihen risikolos sind
- Bewertung am Nadelstich, der die Auslöser Höhepunkt: Zinsen auch für lange Laufzeiten kaum über 0% nominal
Hoffentlich obsiegt am Ende nicht politischer Zynismus, wenn die künftig zu erwartenden weiteren Wertzuwächse der Sachwerte (Aktien, Immobilien, Gold) infolge der Spätfolgen der Staatsanleihen-Blase für Politiker leider nicht etwa Anlass zur Selbstkritik sind, sondern zu wohlbegründeten Steuererhöhungen für die „Reichen“.
Stattdessen über eine aktienbasierte Altersvorsorge nachzudenken, wird dagegen nicht in Frage kommen: Dann könnte es irgendwann zu viele „Reiche“ geben.