Kapitalmarktausblick 07/2022
Rezessionen, Kapitalmärkte und Inflation
Zunächst kam vor einem Jahr der überraschende Anstieg der Inflation, dann der Putin-Krieg, dadurch noch mehr Inflation und erstmals ein deutlicher Zinsanstieg und jetzt droht auch noch in vielen Ländern eine Rezession. Das sieht auf den ersten Blick nicht nach einem guten Umfeld für Aktien aus, auf den zweiten Blick dagegen schon. Wir wagen hier einen zweiten Blick.
Die Angst vor einer Rezession steigt aktuell deutlich an (siehe Grafik 1).
In den USA die, anders als einige europäische Länder, keine kriegsbedingten Probleme mit der Energieversorgung haben, nimmt wegen der im Juni auf 9,1% gestiegenen Inflation die Angst vor starken Zinserhöhungen seitens der US-Zentralbank zu. Der seit 70 Jahren besonders zuverlässige Frühindikator für eine Rezession, die Zinsstruktur (Differenz zwischen den Zinsen für 10-jährige und für 1-jährige US-Staatsanleihen), hat alle 10 Rezessionen der US-Wirtschaft mit durchschnittlich 13 Monaten Vorlauf angekündigt (siehe Grafik 2). Nur Mitte der 60er Jahre gab es ein Fehlsignal. Im Juli 2022 ist die Zinsstruktur erneut mit minus 16 Basispunkten negativ geworden, da die kurzfristigen Zinsen stark gestiegen, aber dagegen die langfristigen Zinsen seit Mitte Juni bereits wieder um 70 Basispunkte gefallen sind.
Damit ergibt sich die Frage, welche einigermaßen gesicherten Erkenntnisse über die Auswirkung einer Rezession auf die Kapitalmärkte, insbesondere auf die besonders konjunkturabhängigen Aktienmärkte, vorliegen.
Dazu zeigen wir zunächst den schematischen Ablauf einer Rezession (siehe Grafik 3). Eine Rezession beginnt normalerweise mit steigenden Inflationsraten aufgrund einer starken Wirtschaft, die von den Zentralbanken mit steigenden Zinsen bekämpft wird, so dass auch die langfristigen Zinsen zu steigen und die Kurse der Anleihen zu fallen beginnen. Damit verteuern sich Kredite, was die Nachfrage nach Gütern belastet. Darunter leiden die Umsätze der Firmen und gleichzeitig steigen deren Kreditkosten. Dadurch werden die Gewinne schwächer. Außerdem steigt die Attraktivität von Anleihen, so dass mehr Anleger Aktien verkaufen und Anleihen kaufen, was die Aktienkurse schwächt. Dann reduzieren die Firmen ihre Investitionsausgaben und stellen weniger Arbeitskräfte ein. Vermehrte Angst um den Arbeitsplatz lässt den Konsum weiter sinken, so dass schließlich aufgrund sinkender Nachfrage die Inflationsraten fallen und das Volkseinkommen sinkt; eine Rezession beginnt.
In der Praxis zeigt sich tatsächlich fast immer eine vergleichbare Entwicklung (siehe Grafiken 4 a bis c, wobei in den USA und Deutschland die durchschnittlichen Werte von jeweils 5 Rezessionen seit 1974 und in der Eurozone von 3 Rezessionen seit 2008 einbezogen wurden). Zunächst entwickeln sich die Rentenkurse schwach, dann erreichen die Aktienmärkte einen Tiefpunkt, bevor dann einige Monate später der Tiefpunkt der Konjunktur erreicht wird.
Die geringen Kursverluste der Rentenmärkte sind auf einige Rezessionen zurückzuführen, denen eine nichtökonomische Ursache zugrunde lag (2. Irak-Krieg 2003 oder Corona-Krise 2020) und die daher nicht von steigenden Zinsen eingeleitet wurden. Allen Rezessionen ist jedoch gemeinsam, dass die Aktienmärkte bereits vor dem Tiefpunkt der Konjunktur wieder ansteigen und von ihrem Tiefpunkt bis zur Konjunkturerholung in den drei auf den Konjunkturtiefpunkt folgenden Quartalen Kursgewinne von 23% bis 64%, durchschnittlich 45 %, in weniger als 15 Monaten erwirtschaftet haben (Grafik 5).
Es ist also eher nicht ratsam, angesichts der aktuell schwierigen konjunkturellen Lage Aktien zu verkaufen, zumal etliche Hinweise auftauchen, dass der Inflationsdruck nachlassen wird (siehe auch Kapitalmarktausblick vom Juni 2022, den Sie hier finden). Vor und während einer Rezession fällt die Inflationsrate deutlich (siehe Grafiken 6 a bis c, die die Inflationsrate pro Quartal zeigen).
Im Durchschnitt sinkt die annualisierte Inflationsrate während einer Rezession um über 3 Prozentpunkte (siehe Grafik 7).
Wir befinden uns daher bereits im für Aktien besonders interessanten Bereich des Konjunkturzyklus (siehe Grafik 3). Schon die ersten Zinserhöhungen der Zentralbanken haben ausgereicht, um Ängste vor einer Rezession auszulösen, auch in den USA (siehe Grafik 2), die nicht das Energieproblem einiger europäischer Länder haben. Daher haben etliche Anleger seit Mitte Juni begonnen, „sichere“ Staatsanleihen zu kaufen, obwohl das Zinsniveau überall noch weit unter der aktuellen Inflationsrate liegt. Dementsprechend beginnen die Rentenkurse bereits zu steigen, in der Eurozone auch deswegen, weil die EZB schon bei einem Zinsniveau von etwas über 4 % für Staatsanleihen Italiens dessen finanzielle Stabilität gefährdet sieht und über erneute Anleihekäufe nachzudenken begonnen hat.
Die Aktienkurse sind bereits stark gefallen. Selbst wenn eine Rezession kommen sollte, sind jedoch die Kurschancen von Aktien schon vor dem Erreichen des Konjunkturtiefpunktes sehr gut (Grafiken 4 a – c, Grafik 5), zumal die Anleihen mit negativen Realzinsen von 6,5% in Deutschland und 6,3% in den USA weiterhin extrem unattraktiv sind und keinerlei Konkurrenz für Aktien darstellen. Diese sind nämlich in Deutschland und Europa sehr preiswert (siehe Grafiken 8a, b) und in Europa mit im Vergleich zu Deutschland deutlich weniger Gasversorgungsrisiken mit hohen Ertragserwartungen von 10% p.a. (Grafik 8 b) versehen. Deutsche Aktien sind aufgrund der Risiken der hohen Abhängigkeit von russischen Energierohstoffen sogar so billig geworden, dass sie mit 12,5% p.a. noch höhere Ertragserwartungen aufweisen (Grafik 8 d), bei allerdings nur durchschnittlicher Qualität des Prognosemodells.
Auch weltweit sind Anleger sehr pessimistisch; wie schon im Mai hatten die Manager der großen Aktienfonds auch im Juni 2022 mit 6,2% einen so hohen Anteil des Fondsvermögens in Cash gehalten wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Großem Pessimismus der Profis folgte seit dem Jahr 2000 in den folgenden 12 Monaten eine um über 6%-Punkte über dem Durchschnitt liegende Aktienperformance (siehe auch Kapitalmarktausblick vom Juni 2022, den Sie hier finden).
In den USA gibt es zusätzlich zur Rezessionsgefahr aufgrund der Zinssteigerungen weitere inflationssenkende Entwicklungen. Die Europäische Zentralbank erhöht die Zinsen wesentlich zögerlicher als die US-Zentralbank, was den Dollar attraktiver gemacht hat. Auch gegenüber dem Yuan wertet der Dollar auf. In China werden die Zinsen nämlich überhaupt nicht erhöht. Dafür gibt es einen Grund. Der chinesische Immobilienmarkt ist extrem teuer und weist weltweit die niedrigsten Mietrenditen auf (Grafik 10).
Auch die Japaner hatten in den 80er Jahren ihren Immobilienmarkt aufgeblasen (Grafik 11 a, siehe auch zu den Gründen dafür den Kapitalmarktausblick vom Oktober 2020, den Sie hier finden). Der Einbruch der Immobilienpreise ab 1990, ungefähr dem Jahr des Höhepunktes des Anteils der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter, wurde durch den nachhaltigen Rückgang dieser Bevölkerungsgruppe verstärkt, die den ganz überwiegenden Teil der Immobilienkäufer bildet. In China beginnt die Anzahl der potenziellen Immobilienkäufer ebenfalls zu sinken; der dortige Immobilienmarkt wird jahrelang große Probleme bereiten - Entwicklungen wie in Japan nach 1990 sind nicht auszuschließen (Grafik 11 b und 12 a und b).
Die folgenden Grafiken zeigen am Beispiel Japans den Druck auf die Staatsschulden und die Zinsen nach dem Platzen einer Immobilienblase bis heute. Japan hatte sich nach dem verlorenen 2. Weltkrieg durch eine schnelle, kurze Hyperinflation seiner Staatsschulden weitgehend entledigt (siehe Grafik 12 a). Bis 1990, dem Höhepunkt der Immobilienblase, waren die Staatsschulden wieder auf ein damals auch in den USA vorhandenes Niveau von 60% des Volkseinkommens gestiegen. 1990 waren auch die Zinsen für 10-jährige Staatsanleihen in Japan mit 7,5% letztmalig auf ähnlichem Niveau wie in den USA (8%, siehe Grafik 12 b). Danach explodierten die Staatsschulden Japans von 60% auf 260% des Volkseinkommens, weil der Staat die Banken retten musste. Diese hatten massenhaft überteuerte Immobilien mit Mietrenditen, die oft weniger als 10% der Zinskosten betrugen, finanziert. Die Kreditnehmer brauchten ständig neues Geld, um die Kreditzinsen zahlen zu können, da es kaum Mieteinnahmen gab. Entsprechend der Regel, dass ein hochverschuldeter Staat niedrige Zinsen braucht und bekommt, fielen die Zinsen schon bis 1997 unter 2% und ab 2012 unter 1%, um seit 2016 praktisch bei Null zu liegen.
Inzwischen hat die schuldenbedingte Unfähigkeit Japans, die Zinsen zu erhöhen, zu einer deutlich steigenden Zinsdifferenz zu den USA geführt, wodurch der Dollar seit Februar 2022 zum Yen um 20% aufgewertet hat (Grafik 13).
Da die Inflation in Japan aber in den letzten 12 Monaten wesentlich niedriger war als in den USA, hätte der Yen eigentlich aufwerten müssen. Somit ist der Yen inzwischen um den Rekordstand von 40% zum US-Dollar unterbewertet (Grafik 14 a). Die gemessen an der Inflation sehr moderaten Zinssteigerungen der US-Zentralbank haben also neben den italienischen Staatsanleihen auch den Yen stark fallen lassen.
Auch der € hat gegenüber dem Dollar seit dem Ausbruch des Putin-Krieges 10% Kursverlust erlitten, das britische Pfund über 10%, die chinesische Währung 6% etc.. Diese starke Aufwertung des Dollars wirkt auf die US-Wirtschaft deflationär und wird die US-Zentralbank bald zum Nachdenken bringen.
Längerfristig sollten aber z.B. der japanische Yen (Grafik 14 b) und der € zum US-Dollar aufwerten; Anlagen in € oder Yen werden also attraktiver.
Fazit
Insgesamt beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession auch in den eigentlich robusteren USA inzwischen etwas über 50%. Dennoch sind die künftigen Aussichten für Aktien schon für die nächsten 1-2 Jahre recht gut, da der günstigste Zeitpunkt für Aktienkäufe nicht am Tiefpunkt der Konjunktur liegt, sondern einige Monate vorher. Jetzt könnte ein solcher Zeitpunkt sein, weil die Anleger weltweit sehr pessimistisch und Aktien entsprechend niedrig bewertet sind, was auch langfristig auf gute Aussichten für Aktien hinweist.
Auch die seit einem Jahr stark steigende Inflation hat die Anleger beunruhigt. Es gibt aber wachsende Hinweise darauf, dass die Inflationsraten bald am Gipfel angekommen sein dürften. Die Inflation war insbesondere von den stark steigenden Preisen für Energierohstoffe (Öl, Gas) angetrieben worden, aber ein hoher Ölpreis ging in der Vergangenheit mit langfristig sinkenden Ölpreisen einher, weil Verbraucher, Unternehmen und der Staat in einer solchen Situation Maßnahmen zur nachhaltigen Senkung der Nachfrage ergreifen, die auch immer erfolgreich waren. Außerdem wäre eine Rezession ein weiteres inflationssenkendes Ereignis.
Schließlich nimmt die Angst vor drastischen Zinserhöhungen seitens der Zentralbanken zur Bekämpfung der Inflation zur Zeit ab. Es zeigen sich nämlich erste Probleme im weltweit hoch verschuldeten Finanzsystem. Die EZB wurde im Juni nervös, als der Zins für italienische Staatsanleihen über 4% gestiegen war und kündigte Maßnahmen gegen zu stark steigende Zinsen in den schwächeren Ländern der Eurozone an. Seitdem sind die langfristigen Zinsen in Italien um 70 Basispunkte gefallen. Auch in anderen europäischen Ländern und den USA sind die Zinsen in einer ähnlichen Größenordnung gesunken. Nur das hochverschuldete Japan musste den langfristigen Zins in der Nähe von Null belassen. Daraufhin brach der Wechselkurs des japanische Yen ein. Auch der Euro und sogar die chinesische Währung verloren deutlich zum US-Dollar. Damit dürfte die Stärke des Dollars in den USA zunehmen, die Wirtschaft belasten und die Inflation drücken. Die US-Zentralbank wird diese Entwicklung bei ihrer Zinspolitik im Auge behalten müssen.
Den Kapitalmarktausblick können Sie auch hier herunterladen.