Kapitalmarktausblick 06/2022
Hohe Inflationsraten, steigende Zinsen und die Folgen für Sachwerte
Nach dem weltweiten Rückgang der Aktienkurse in den letzten 2 Wochen sind die europäischen und deutschen Aktienkurse wieder auf dem Tiefststand nach dem Beginn des Putin-Krieges angekommen; US-Aktien haben insbesondere aufgrund des Einbruchs der Technologiewerte sogar neue Jahrestiefststände erreicht.
Der Auslöser für diese Entwicklung ist der kräftige Zinsanstieg, dessen Ursache in den steigenden Inflationsraten und der plötzlichen Erkenntnis der Zentralbanken liegt, dass die Inflation wohl nicht wie bisher angenommen vorübergehend ist und von allein wieder verschwinden wird, sondern dass Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung notwendig sind.
Im letzten Kapitalmarktausblick, den Sie hier finden, haben wir gezeigt, warum der Zinsanstieg nicht die Inflationsraten erreichen wird und dass daher Anleihen, anders als in den späten 70er Jahren mit zweistelligen Zinssätzen, keine attraktive Alternative zu Aktien werden können. Daher dürften Aktien trotz recht hoher Inflation in den nächsten Jahren attraktiv bleiben.
Der Blick auf die aktuelle Lage der Zins- und Inflationsentwicklung zeigt, dass es in den letzten Wochen keine wesentlichen Veränderungen gab. Der Zins liegt weiterhin deutlich unter der Inflationsrate.
Damit stellt sich die Frage, wie nachhaltig der Kursrückgang an den Aktienmärkten ist.
Ein erster Blick auf die Bewertung amerikanischer (Grafik 2a) und europäischer (Grafik 2b) Aktien deutet nicht darauf hin, dass Aktien bereits so preiswert geworden sind wie in früheren Krisenzeiten. Die markierten Krisen hatten die Aktienkurse in den Bereich unterdurchschnittlicher Bewertung geführt, was im Nachgang immer kräftige Kurserholungen ausgelöst hatte. Europäische Aktien nähern sich aktuell jedoch lediglich einer durchschnittlichen Bewertung an und US-Aktien haben bisher nur den Bereich der Überbewertung verlassen.
Weitaus interessanter sieht der deutsche Aktienmarkt aus, der inzwischen sogar billiger ist als am Ende der ersten Ölkrise Anfang 1975. Damals hatten deutsche Aktien weit mehr als 40% Kursverluste erlitten und es gab wie heutzutage einen ausgeprägten Pessimismus bezüglich der Sicherheit der Energieversorgung. Die Ölpreise hatten sich in gut einem Jahr verdreifacht, nachdem die arabischen Ölförderländer im Jahr 1973 wochenlang den Ölhahn zugedreht hatten. Die Aktienkurse konnten dann aber im Jahr 1975 um 36% zulegen.
Für die aktuell besonders niedrige Bewertung deutscher Aktien ist sicher auch die Tatsache verantwortlich, dass es hierzulande keine Öl- und Rohstoffaktien sowie keine großen Gesundheitswerte wie in anderen europäischen Ländern und in den USA gibt, sondern zahlreiche Industrietitel mit Lieferkettenproblemen und Sorgen um die Weltkonjunktur und die Abhängigkeit von China. Allein aus der Bewertung kann man daher auch für deutsche Aktien keine klare Kaufempfehlung aussprechen. Aber es gibt andere Aspekte, die für die Aktienmärkte eine freundlichere Zukunft erwarten lassen.
Anders als die Bewertung gibt der Pessimismus von Fondsmanagern, ablesbar an einer hohen Cash-Quote im Fondsvermögen, ein klareres Bild ab. Seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 waren die Cash-Quoten internationaler Fondsmanager laut einer regelmäßigen Umfrage der Bank of Amerika nie so hoch wie im Mai 2022 (6,2% des Fondsvermögens, siehe Grafik 3), obwohl es seitdem etliche heftige Krisen gab.
Ein hoher Cash-Anteil deutet auf hohe Kursgewinne in den folgenden Monaten hin. Selbst wenn man die beiden ersten Monate hoher Cash-Quoten am Beginn des Crashs der Technologie-, Medien- und Telekomaktien (TMT) ab März 2000 mit einbezieht, obwohl die Aktienmärkte zu dieser Zeit noch extrem überbewertet waren (siehe Grafiken 2a – c), konnte man in den folgenden 12 Monaten durchschnittlich 8,9% Kursgewinn erreichen. Hätte man die hohen Cash-Quoten erst ab dem September 2001, als die Aktienmärkte den Bereich der Überbewertung (oberhalb der roten Linien in den Grafiken 2 a-c) erstmals verlassen hatten, als Kaufsignal genutzt, wäre der durchschnittliche Kursgewinn nach einem Jahr 14,2% gewesen. Im Vergleich zur durchschnittlichen Kurssteigerung des weltweiten Aktienmarktes (2,7 %p.a. seit Dezember 1999) waren hohe Cash-Quoten bei den Fondsmanagern demzufolge ein guter Einstiegszeitpunkt.
Nun untersuchen wir, ob Anleihen durch den Zinsanstieg eine attraktive Alternative zu Aktien geworden sind. Das Ergebnis eines einfachen Vergleichs der Veränderungen seit dem 31.12.2021 zeigt, dass die Renditen an den Aktienmärkten insbesondere in Deutschland sogar stärker gestiegen sind als die Renditen der Anleihen (siehe Grafik 4). Diese sind also auch nach dem Zinsanstieg im Vergleich zu Aktien noch unattraktiver geworden.
Insbesondere der deutsche Aktienmarkt ist auch unter Berücksichtigung des gestiegenen Zinsniveaus (Grafik 2c zeigt die Bewertung ohne Einbeziehung der Zinsen) viel zu niedrig bewertet, da die Cash-Flow-Rendite in Deutschland anders als in Europa, den USA oder China, mehr als doppelt so stark gestiegen ist als die Zinsen (Grafik 4). Außerdem fällt auf, dass die Cash-Flow-Rendite mit über 17% auf dem Niveau der oben erwähnten Eurokrise liegt (Grafik 5, roter Punkt), ohne dass bis jetzt eine vergleichbare Krise ausgebrochen wäre. Die Cash-Flow-Rendite von Aktien ist also viel zu hoch; Aktien weisen bei einer Stabilisierung des Zinsniveaus ein deutliches positives Kurspotenzial auf.
Eine besondere Entwicklung findet in China statt. Wir haben nicht vergessen, die Renditeänderungen für chinesische Anleihen und Aktien in die Grafik 4 einzutragen, sondern sie sind so gering, dass man sie kaum sehen kann. In unserem Kapitalmarktausblick vom November 2021, den Sie hier finden, hatten wir für China aufgrund der gigantischen Probleme am chinesischen Immobilienmarkt sinkende Zinsen vorhergesagt, was seither, sogar in einem weltweiten Umfeld stark steigender Zinsen, zutreffend war. Dieser Trend steigender Zinsen dürfte auch außerhalb Chinas bald beendet sein. Hohe Staatsschulden erzwingen schon seit fast 100 Jahren niedrige Zinsen (Grafik 6a, Beispiel USA). Inzwischen ist die Europäische Zentralbank angesichts der steigenden Zinsdifferenz zwischen Italien und Deutschland nervös geworden und hat in der letzten Woche Maßnahmen zur Begrenzung der Zinsdifferenzen in der Eurozone angekündigt (Grafik 6b). Ein zu hoher Zins für den mit über 150% des Volkseinkommens verschuldeten italienischen Staat könnte eine erneute Euro-Krise wie 2011 auslösen. Damals hatte der neue Zentralbankpräsident Draghi mit der Ankündigung, Geld für Staatsanleihenkäufe zu drucken („Whatever it takes“), diese Krise im Sommer 2012 beendet.
Abgesehen von den finanziellen Nöten der überschuldeten Staaten gibt es weitere Gründe, die einem weiteren massiven Zinsanstieg entgegenstehen. Grafik 7 zeigt die Lohnentwicklung in den USA, die ihren Höhepunkt bereits überschritten hat und künftig die Inflationsrate weniger stark nach oben drücken dürfte.
Auch die Container-Frachtkosten hatten ihren Gipfel schon vor dem Beginn des Putin-Krieges erreicht und sind bereits deutlich gesunken (Grafik 8).
Ermutigende Signale kommen auch vom Ölmarkt. In den USA werden die Inflationserwartungen der Bevölkerung, die seit Jahrzehnten von der University of Michigan in Umfragen ermittelt werden, stark von den Öl- und Benzinpreisen beeinflusst und sind aktuell mit 5,4% p.a. für die nächsten 5 bis 10 Jahre sehr hoch (Grafik 9).
Der Ölpreis dürfte jedoch künftig keine allzu großen Steigerungen mehr erreichen können. Seit den späten 60er Jahren führen hohe Ölpreise zu künftig jahrelang sinkenden Ölpreisen (Grafiken 10a, b). Der Grund war früher letztlich derselbe wie heute: Ein hoher Ölpreis veranlasst die Ölverbraucher zu Sparmaßnahmen und erhöht die Nachfrage nach energieeffizienteren Produkten und Immobilien, wodurch die Ölnachfrage dauerhaft gesenkt wird. Diesmal kommt der unbedingte Wille hinzu, von russischen Energierohstoffen unabhängig zu werden und aus Klimaschutzgründen generell den Verbrauch von Öl, Kohle und Erdgas so stark wie möglich zu senken. Die Ölförderländer werden ihr Angebot erhöhen, weil sie den nachfragesenkenden Effekt hoher Ölpreise natürlich kennen und nicht auch noch unterstützen möchten.
Am Terminmarkt kann man Öl mit dem Liefertermin Dezember 2024 für 80 $ kaufen; Spekulanten, Ölförderer und Ölverbraucher erwarten ebenfalls fallende Ölpreise (Grafik 11).
Zusammenfassend befinden wir uns zur Zeit in einem Umfeld hoher und steigender Inflation (Grafik 12 a), das historisch inklusive der 70er Jahre eine schwache Performance von Aktien und Renten, eine sehr gute Performance von Gold und eine überdurchschnittlichen Performance von Wohnimmobilien hervorgebracht hat, wie auch die letzten Monate zeigen. Wenn unsere Überlegungen zutreffen, bewegen wir uns jedoch bald in den Bereich einer hohen, aber sinkenden Inflation, in dem die Bedingungen für Aktien und Renten sich deutlich verbessern (Grafik 12 a oben links). Wenn man statt der Auswirkung der Inflation den Einfluss des Zinses auf die Quartalsperformance von Anlageklassen untersucht, befinden wir uns ohnehin in einem für Aktien, aber auch Wohnimmobilien günstigen Umfeld (Grafik 12 b unten rechts) mit niedrigen, aber steigenden Zinsen.
Trotz des starken Zinsanstiegs der letzten Monate bleiben die Zinsen (Grafik 13 a) und die erwartete Performance von Renten (Grafik 13 b) unterdurchschnittlich.
Der Zinsanstieg wird die Wohnimmobilienpreise nicht nachhaltig drücken können. Steigende Hypothekenzinsen bewirken zwar tatsächlich steigende Mietrenditen und damit fallende Immobilienpreise (unter der Annahme stagnierender Mieteinnahmen), aber nur bei sehr niedrigen Hypothekenzinsen (Grafik 14 a, ovale rote Linie). Schon bei Zinssätzen von über 1,5% gibt es keinen Einfluss auf die Mietrendite mehr. So war 1981 bei Zinssätzen von 11% die Mietrendite bei unterdurchschnittlichen 3,3%, kaum höher als 2021, aber der Hypothekenzins lag bei 11%. Eine Immobilie mit einem Kaufpreis von 1 Mio. € hätte bei 33.000 € Mieteinnahmen Zinskosten von 110.000 € bedeutet. Trotzdem haben die Käufer nicht gezögert. Sie rechneten nämlich damals wie heute nicht nur mit der aktuellen Mietrendite, sondern bezogen auch das erwartete Mietwachstum in ihre Kalkulation ein. Dieses leitet man offensichtlich aus der durchschnittlichen Inflationsrate der vergangenen 10 Jahre ab, und diese lag bei 5,5% p.a.. Ein Zahlungsstrom mit anfangs 3,3% Rendite ist bei einem ewigen Wachstum von 5,5% ebenso viel wert wie ein ewiger Zahlungsstrom von 8,8% (eine Erläuterung dazu liefert unser Kapitalmarktausblick vom Dezember 2021, den Sie hier finden). Bei einer jährlichen Ertragserwartung von 8,8% erscheint der Zins von 11% weitaus moderater. Grafik 14 b zeigt, dass am Immobilienmarkt seit fast 50 Jahren so gerechnet wird – der Hypothekenzins erklärt immerhin zu 82% die Summe aus Mietrendite und künftigem Mietwachstum, abgeleitet aus der historischen Durchschnittsinflation. Aktuell wären die Anleger bei einer Mietrendite von 3% mit einem Gesamtertrag von 5,3% zufrieden (waagerechter oranger Pfeil in Grafik 14 b); sie rechnen also mit einem Mietwachstum von 2,3%. Diese Zahl dürfte in den nächsten Jahren deutlich ansteigen, da bei höherer Inflation und schrumpfender Zahl von Arbeitskräften die Löhne und damit auch die Mieten langfristig deutlich stärker steigen werden; (energetisch sanierte) Wohnimmobilien bleiben also langfristig ein attraktiver Inflationsschutz.
Ebenso wie Wohnimmobilien benötigt auch der Goldpreis für einen Anstieg hohe Inflationserwartungen, die sich erst bilden, wenn die Inflation über mehrere Jahre deutlich steigt (Grafik 15). 1979 oder 1980 blickten die Amerikaner auf 7 Jahre mit einer durchschnittlichen Inflation von 9% p.a. zurück und trieben den Goldpreis auf das 6-fache des Preises, der bei einem stetigen (Trend-)Wachstum von ca. 7% p.a. seit 1968 in diesen beiden Jahren erreicht worden wäre. Dies erklärt auch den aktuell nur moderat steigenden Goldpreis. Noch ist die Masse der Anleger nicht von einer anhaltend höheren Inflation überzeugt.
Aufgrund der in den letzten Wochen gesunkenen Aktienkurse sind unsere langfristigen Ertragserwartungen für Aktien und die damit verwandten Private Equity Fonds deutlich angestiegen (Grafik 16). Insgesamt bleiben die Aussichten für Sachwerte auch nach dem deutlichen Zinsanstieg positiv.
Den Kapitalmarktausblick können Sie auch hier herunterladen.