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Das Jahr 2020 wäre fast das Jahr geworden, in dem der Kranich zum letzten Mal flog. Der Kranich ist seit jeher das Symbol der Lufthansa, der größten deutschen Airline und damit weltweit ein Botschafter für die Fortschrittlichkeit Deutschlands. Doch als aufgrund der Corona-Pandemie plötzlich die Grenzen schlossen und sich niemand mehr ins Flugzeug traute, drohte das Aushängeschild der deutschen Wirtschaft herabzufallen. Am 19. März verkündete die Firma, dass 95 Prozent aller Flüge gestrichen würden. Die Schieflage war bedrohlich. 1,7 Milliarden Euro verlor Lufthansa alleine im zweiten Quartal.
So musste am Ende die Bundesregierung einspringen. Der ungeliebte Ex-Eigentümer, dessen Abschied die Führungskräfte der Lufthansa in den Neunzigern noch gefeiert hatten, ist nun wieder da und besitzt auf einen Schlag 20 Prozent der Anteile. Eine Option auf weitere fünf Prozent sicherte sich die Bundesregierung mit einem Instrument, das bisher eher selten bei Konzernen dieser Größe eingesetzt wurde: die Wandelanleihe. Das besondere an dieser Anleihenform: sie lässt sich am Ende ihrer Laufzeit in Aktien umwandeln. Am internationalen Kapitalmarkt waren Wandelanleihen zuletzt eher ein Nischenprodukt – aktuell erfreuen sie sich aber großer Beliebtheit.
Prominente Beispiele gibt es dieses Jahr en masse: 114 Millionen Euro sammelte das Reise-Start-up Getyourguide ein, gar 750 Millionen Euro erhielt der österreichische Sensorhersteller AMS. Und auch die Lufthansa scheint Gefallen an dem Instrument gefunden zu haben, denn im Herbst gab sie eine weitere Wandelanleihe heraus, über 600 Millionen Euro.
Das Volumen ausstehender Wandelanleihen lag bereits im August mit rund 500 Milliarden Euro gut 100 Milliarden Euro über dem Vorjahr, wie Fondsmanager berichteten. Die unsichere Lage an den Märkten treibt auch etablierte Konzerne dazu, dieses Instrument zu nutzen. Denn mit Wandelanleihen lassen sich sowohl Marktvolatilität als auch hohe Zinszahlungen vermeiden. Langfristig können sie allerdings Risiken und Unsicherheit mit sich bringen.
Um zu verstehen, worin bei Wandelanleihen für Unternehmen die Gefahr liegt, muss man sich zunächst anschauen, wie sie funktionieren. In ihrer simpelsten Form zeichnet der Investor eine Wandelanleihe und erhält dafür einen regelmäßigen Zins, genauso wie bei einer Kuponanleihe. Der Unterschied: Zu einem festen Zeitpunkt – meistens am Ende der Anleihenlaufzeit – kann er sich vom Unternehmen in Aktien bezahlen lassen, anstatt den Nennwert der Anleihe zurückzuerhalten. Das Umtauschverhältnis legen beide Seiten in der Regel zu Beginn fest. Diese Struktur geht meistens mit niedrigeren Nominalzinsen als bei regulären Anleihen einher, der Investor zahlt gewissermaßen einen Aufpreis für seine Aktienoption.
„Andere Optionen zum Kapital einsammeln sind momentan nicht sehr attraktiv“ – Alexander Pütz, Universität zu Köln
In dieser simplen Struktur sind Wandelanleihen aus Unternehmenssicht also ein Hybrid zwischen einer Kapitalerhöhung über Aktien und einer klassischen Kreditaufnahme. Für den Investor sind sie eine Wette auf steigende Aktienkurse, denn in diesem Fall könnte er das eingesetzte Geld später per Umtausch vervielfachen. Das machte das Instrument bisher vor allem für junge Unternehmen interessant.
„Vor allem schnell wachsende Technologieunternehmen haben in der Vergangenheit Wandelanleihen genutzt“, erklärt Alexander Pütz. Er arbeitet am Seminar für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzierungslehre an der Universität Köln. Start-ups kommen so leichter an Geld, da Investoren zunächst nur Geld leihen, langfristig aber am potentiellen Erfolg beteiligt werden. Die Zinssätze sind verhältnismäßig niedrig und zumindest kurzfristig werden die Anteile der bisherigen Eigner nicht verwässert, wie es bei einer unmittelbaren Kapitalerhöhung geschehen würde.
So gab etwa der amerikanische Autobauer Tesla eine ganze Reihe von Wandelanleihen heraus, um seine schnelle Expansion zu finanzieren. Delivery Hero, seit kurzem Mitglied im Deutschen Aktienindex, sammelte Anfang des Jahres 1,75 Milliarden Euro über Wandelanleihen ein, um eine Übernahme in Südkorea zu finanzieren. Auch die Berliner Reiseplattform Omio kündigte im August an, Übernahmepläne so zu finanzieren.
Bei GetYourGuide reagierten sie mit einer Wandelanleihe auf die Einbrüche im Tourismus in diesem Jahr: „Corona hat die globale Tourismusbranche schwer getroffen, aber wir sind überzeugt davon, dass unsere Mission wichtiger als jemals zuvor ist und für eine neue Ära im Tourismus steht“, sagt dazu Johannes Reeck, CEO der Firma: „Diese Finanzierung ist ein Vertrauensbeweis, dass GetYourGuide die Erholung des globalen Tourismus anführen kann.“
Warum aber greifen aktuell auch etablierte Unternehmen wie Lufthansa, AMS oder Tui zur Wandelanleihe? „Andere Optionen zum Einsammeln von Kapital sind momentan nicht sehr attraktiv“, sagt dazu Pütz von der Uni Köln. Die Aktienmärkte seien sehr volatil, gleichzeitig seien die Zinskosten für Anleihen gestiegen. Entsprechend sei die Wandelanleihe für viele der Rettungsanker.
Gerade bei staatlichen Stützmaßnahmen erfülle sie eine wichtige Rolle, so Pütz: „Oft wird der Staat ja dafür kritisiert, dass er selbst als Retter einspringt, aber andere davon profitieren. Bei der Wandelanleihe ist das hingegen anders.“ Erholen sich etwa die Lufthansa und Tui mittelfristig vom aktuellen Krisenjahr, könnte der Staat in Zukunft die Anleihe umwandeln und so noch einen netten Gewinn mit dem Verkauf der Aktien zu höheren Kursen einstreichen. Auch nichtstaatliche Investoren wie Hedgefonds steigen vermehrt ein und kaufen Wandelanleihen, um nicht der Unsicherheit an den Aktienmärkten ausgesetzt zu sein. Laut dem Analysehaus eVestment konnten sie mit diesen Anleihen bis August Zuwächse von 6,9 Prozent erzielen. Alle anderen Anlagestrategien warfen lediglich 2,2 Prozent ab.
Eine eierlegende Wollmilchsau ist die Wandelanleihe für Unternehmen allerdings nicht. „Im Prinzip handelt es sich dabei um eine bedingte Eigenkapitalerhöhung“, erklärt Pütz. Soll heißen: Nach Ablauf der Anleihefrist müsste das Unternehmen eventuell reichlich Aktien herausgeben. Die bisherigen Eigner würden plötzlich deutlich weniger Anteile halten, die Anleihezeichner an Kontrolle gewinnen. Angesichts der Tatsache, dass selbstverständlich auch Wandelanleihen an der Börse handelbar sind, ist das ein gewisses Risiko.
Die Lufthansa etwa hat dieses Risiko in Kauf nehmen müssen. Dabei können Unternehmen eine Wandelanleihe auch so konstruieren, dass dieses Risiko ausgeschlossen wird. So können sie sich etwa selbst das Recht zugestehen, über die Umwandlung zu entscheiden. Oder sie geben eine sogenannte Coco-Anleihe heraus (contingent convertible bond), bei ihr wird der Umtausch nur beim Eintreten eines bestimmten Events durchgeführt. Das kann zum Beispiel der Zeitpunkt sein, zu dem das Vermögen der Firma unter die Summe der Schulden fällt. Am Markt werde das aber natürlich nicht goutiert, sagt Pütz. „In so einem Fall verlangen Investoren einen deutlich höheren Zins.“
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Die Wandelanleihe war bisher vor allem ein Mittel für Start-ups, um günstig an Kapital zu kommen. Im Krisenjahr 2020 nutzen aber auch etablierte Unternehmen diese Option. Kurzfristig profitieren Emittenten wie Investoren, doch langfristig könnte Unternehmen Ungemach drohen.
Das Jahr 2020 wäre fast das Jahr geworden, in dem der Kranich zum letzten Mal flog. Der Kranich ist seit jeher das Symbol der Lufthansa, der größten deutschen Airline und damit weltweit ein Botschafter für die Fortschrittlichkeit Deutschlands. Doch als aufgrund der Corona-Pandemie plötzlich die Grenzen schlossen und sich niemand mehr ins Flugzeug traute, drohte das Aushängeschild der deutschen Wirtschaft herabzufallen. Am 19. März verkündete die Firma, dass 95 Prozent aller Flüge gestrichen würden. Die Schieflage war bedrohlich. 1,7 Milliarden Euro verlor Lufthansa alleine im zweiten Quartal.
So musste am Ende die Bundesregierung einspringen. Der ungeliebte Ex-Eigentümer, dessen Abschied die Führungskräfte der Lufthansa in den Neunzigern noch gefeiert hatten, ist nun wieder da und besitzt auf einen Schlag 20 Prozent der Anteile. Eine Option auf weitere fünf Prozent sicherte sich die Bundesregierung mit einem Instrument, das bisher eher selten bei Konzernen dieser Größe eingesetzt wurde: die Wandelanleihe. Das besondere an dieser Anleihenform: sie lässt sich am Ende ihrer Laufzeit in Aktien umwandeln. Am internationalen Kapitalmarkt waren Wandelanleihen zuletzt eher ein Nischenprodukt – aktuell erfreuen sie sich aber großer Beliebtheit.
Prominente Beispiele gibt es dieses Jahr en masse: 114 Millionen Euro sammelte das Reise-Start-up Getyourguide ein, gar 750 Millionen Euro erhielt der österreichische Sensorhersteller AMS. Und auch die Lufthansa scheint Gefallen an dem Instrument gefunden zu haben, denn im Herbst gab sie eine weitere Wandelanleihe heraus, über 600 Millionen Euro.
Das Volumen ausstehender Wandelanleihen lag bereits im August mit rund 500 Milliarden Euro gut 100 Milliarden Euro über dem Vorjahr, wie Fondsmanager berichteten. Die unsichere Lage an den Märkten treibt auch etablierte Konzerne dazu, dieses Instrument zu nutzen. Denn mit Wandelanleihen lassen sich sowohl Marktvolatilität als auch hohe Zinszahlungen vermeiden. Langfristig können sie allerdings Risiken und Unsicherheit mit sich bringen.
Um zu verstehen, worin bei Wandelanleihen für Unternehmen die Gefahr liegt, muss man sich zunächst anschauen, wie sie funktionieren. In ihrer simpelsten Form zeichnet der Investor eine Wandelanleihe und erhält dafür einen regelmäßigen Zins, genauso wie bei einer Kuponanleihe. Der Unterschied: Zu einem festen Zeitpunkt – meistens am Ende der Anleihenlaufzeit – kann er sich vom Unternehmen in Aktien bezahlen lassen, anstatt den Nennwert der Anleihe zurückzuerhalten. Das Umtauschverhältnis legen beide Seiten in der Regel zu Beginn fest. Diese Struktur geht meistens mit niedrigeren Nominalzinsen als bei regulären Anleihen einher, der Investor zahlt gewissermaßen einen Aufpreis für seine Aktienoption.
„Andere Optionen zum Kapital einsammeln sind momentan nicht sehr attraktiv“ – Alexander Pütz, Universität zu Köln
In dieser simplen Struktur sind Wandelanleihen aus Unternehmenssicht also ein Hybrid zwischen einer Kapitalerhöhung über Aktien und einer klassischen Kreditaufnahme. Für den Investor sind sie eine Wette auf steigende Aktienkurse, denn in diesem Fall könnte er das eingesetzte Geld später per Umtausch vervielfachen. Das machte das Instrument bisher vor allem für junge Unternehmen interessant.
„Vor allem schnell wachsende Technologieunternehmen haben in der Vergangenheit Wandelanleihen genutzt“, erklärt Alexander Pütz. Er arbeitet am Seminar für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzierungslehre an der Universität Köln. Start-ups kommen so leichter an Geld, da Investoren zunächst nur Geld leihen, langfristig aber am potentiellen Erfolg beteiligt werden. Die Zinssätze sind verhältnismäßig niedrig und zumindest kurzfristig werden die Anteile der bisherigen Eigner nicht verwässert, wie es bei einer unmittelbaren Kapitalerhöhung geschehen würde.
So gab etwa der amerikanische Autobauer Tesla eine ganze Reihe von Wandelanleihen heraus, um seine schnelle Expansion zu finanzieren. Delivery Hero, seit kurzem Mitglied im Deutschen Aktienindex, sammelte Anfang des Jahres 1,75 Milliarden Euro über Wandelanleihen ein, um eine Übernahme in Südkorea zu finanzieren. Auch die Berliner Reiseplattform Omio kündigte im August an, Übernahmepläne so zu finanzieren.
Bei GetYourGuide reagierten sie mit einer Wandelanleihe auf die Einbrüche im Tourismus in diesem Jahr: „Corona hat die globale Tourismusbranche schwer getroffen, aber wir sind überzeugt davon, dass unsere Mission wichtiger als jemals zuvor ist und für eine neue Ära im Tourismus steht“, sagt dazu Johannes Reeck, CEO der Firma: „Diese Finanzierung ist ein Vertrauensbeweis, dass GetYourGuide die Erholung des globalen Tourismus anführen kann.“
Warum aber greifen aktuell auch etablierte Unternehmen wie Lufthansa, AMS oder Tui zur Wandelanleihe? „Andere Optionen zum Einsammeln von Kapital sind momentan nicht sehr attraktiv“, sagt dazu Pütz von der Uni Köln. Die Aktienmärkte seien sehr volatil, gleichzeitig seien die Zinskosten für Anleihen gestiegen. Entsprechend sei die Wandelanleihe für viele der Rettungsanker.
Gerade bei staatlichen Stützmaßnahmen erfülle sie eine wichtige Rolle, so Pütz: „Oft wird der Staat ja dafür kritisiert, dass er selbst als Retter einspringt, aber andere davon profitieren. Bei der Wandelanleihe ist das hingegen anders.“ Erholen sich etwa die Lufthansa und Tui mittelfristig vom aktuellen Krisenjahr, könnte der Staat in Zukunft die Anleihe umwandeln und so noch einen netten Gewinn mit dem Verkauf der Aktien zu höheren Kursen einstreichen. Auch nichtstaatliche Investoren wie Hedgefonds steigen vermehrt ein und kaufen Wandelanleihen, um nicht der Unsicherheit an den Aktienmärkten ausgesetzt zu sein. Laut dem Analysehaus eVestment konnten sie mit diesen Anleihen bis August Zuwächse von 6,9 Prozent erzielen. Alle anderen Anlagestrategien warfen lediglich 2,2 Prozent ab.
Eine eierlegende Wollmilchsau ist die Wandelanleihe für Unternehmen allerdings nicht. „Im Prinzip handelt es sich dabei um eine bedingte Eigenkapitalerhöhung“, erklärt Pütz. Soll heißen: Nach Ablauf der Anleihefrist müsste das Unternehmen eventuell reichlich Aktien herausgeben. Die bisherigen Eigner würden plötzlich deutlich weniger Anteile halten, die Anleihezeichner an Kontrolle gewinnen. Angesichts der Tatsache, dass selbstverständlich auch Wandelanleihen an der Börse handelbar sind, ist das ein gewisses Risiko.
Die Lufthansa etwa hat dieses Risiko in Kauf nehmen müssen. Dabei können Unternehmen eine Wandelanleihe auch so konstruieren, dass dieses Risiko ausgeschlossen wird. So können sie sich etwa selbst das Recht zugestehen, über die Umwandlung zu entscheiden. Oder sie geben eine sogenannte Coco-Anleihe heraus (contingent convertible bond), bei ihr wird der Umtausch nur beim Eintreten eines bestimmten Events durchgeführt. Das kann zum Beispiel der Zeitpunkt sein, zu dem das Vermögen der Firma unter die Summe der Schulden fällt. Am Markt werde das aber natürlich nicht goutiert, sagt Pütz. „In so einem Fall verlangen Investoren einen deutlich höheren Zins.“
Über den Autor
Lars-Thorben Niggehoff
Lars-Thorben Niggehoff schreibt über Immobilien, Start-Ups und Geldanlage.