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Bestseller-Autorin, Vordenkerin des Jahres 2020, Ex-Aufsichtsrätin, Unternehmerin und eine der wichtigsten Meinungsmacherinnen in der Gründerszene und im Bereich Bildung in Deutschland: Das Leben von Verena Pausder ist enger getaktet als die Londoner U-Bahn. Zwischen 8 und 19 Uhr ist kaum etwas frei und E-Mails beantwortet sie meist erst später, wenn auch die Kinder im Bett sind. Trotz allem versucht sie, zwei Bücher die Woche zu lesen, ein großer Stapel türmt sich in Sichtweise ihres Bettes auf. Als älteste Tochter von Rudolf Delius wäre sie eigentlich prädestiniert gewesen, das Familienunternehmen zu übernehmen, hat sich aber dagegen entschieden. Sie hatte anderes vor – und davon viel.
Anfang des Jahres sechs Wochen komplette Offline-Zeit. Also offline auf allen Kanälen. Kein WhatsApp, keine E-Mails, kein Social Media. Stattdessen habe ich 16 Bücher gelesen. Das war nicht so, als hätte da die Zeit stillgestanden, weil wir ja auch vier Kinder haben und uns mit dem Homeschooling herumschlagen, aber irgendwie war das so ein Geschenk an mich selbst, dass mal Ruhe im Karton ist.
Digital Detox funktioniert nur für eine begrenzte Zeit. Erstens kann ich nicht länger als sechs Wochen keine E-Mails lesen, weil ich ja auch irgendwie noch einen Job habe. Und bei WhatsApp bin ich natürlich in den ganzen Schul-, Kita- und Sportvereingruppen. Das kann ich nicht dauerhaft ausschalten. Aber immerhin: So leicht, wie mir die sechs Wochen gefallen sind, kann ich jetzt selbstbewusst und mit Sicherheit sagen, dass ich nicht Social-Media-süchtig bin.
Zucker. Ich muss irgendwie nach jeder Mahlzeit etwas Süßes essen. Das habe ich jetzt auch schon an meine Kinder übergeben, was mein Mann ganz schrecklich findet. Auch wenn ich gestresst bin, gibt’s erstmal Schokolade.
Ich habe kein einziges Mandat oder Beiratsposten, bei dem ich mich nicht auch vernünftig engagiere. Ich bin niemand, der nirgendwo auftaucht, sich nicht blicken lässt und nachher nur auf der Webseite steht. Ich sage deshalb 95 Prozent der Anfragen ab, das wäre sonst gar nicht möglich. Ich weiß außerdem gut, wie ich für mich Stress abbaue: beim Sport und durch Zeit mit meinen Kindern. Die wollen einfach nur spielen und denen ist es komplett egal, was ich gerade für Stress habe. Meine Kinder sind eigentlich der beste Schutz vor mir selbst, weil ich einfach abbremsen muss.
Ich wollte schon immer ein Buch schreiben, schon als ich 18 war. Ich schreibe unglaublich gerne, habe oben bei mir 100 Tagebücher stehen, habe schon immer Reden geschrieben. Über die letzten Jahre gab’s immer mal wieder Angebote, ein Buch zu schreiben, aber dann habe ich jedes Mal in mich hineingehorcht und gesagt: „Ne, das ist die falsche Zeit, ich weiß auch gar nicht worüber ich jetzt schreiben sollte.” Dann sprach mich ein weiteres Mal ein Verlag im Oktober 2019 an, zwei Monate bevor ich aus meinem Unternehmen gegangen bin. Da habe ich gedacht, das passt jetzt. Den Vertrag haben wir dann unterschrieben, ohne genau zu wissen, was das Thema ist.
Ich habe das Buch in drei Monaten runter geschrieben und wäre kein Corona gewesen, hätte ich wahrscheinlich ein Jahr dafür gebraucht. Vom März bis Juni vergangenen Jahres war ja nichts los. Kein Wochenendtrip, keine Reise, gar nichts. Da konnte ich einfach viel recherchieren, viel lesen, viel schreiben.
Aufsichtsrätin ist kein Posten, den du mal so machst, damit es gut klingt. Das ist richtig viel Arbeit und man haftet mit Privatvermögen. Das macht niemand nebenbei.
Ich glaube, bei Aufsichtsräten hat es sich sehr gedreht, seitdem die 30-Prozent-Frauenquote zumindest für die großen Unternehmen da ist. Da sind ja auch entsprechend die Frauen in die Gremien reingekommen. Aber es gibt viele Faktoren, die es immer noch schwer machen, Aufsichtsrätin zu werden und darin auch gut zu sein.
Fehlendes informelles Wissen. Ein Beispiel: Es gibt Ausschüsse und die sind unterschiedlich wichtig. Der Nominierungsausschuss ist wichtig, weil er Nachbesetzungen entscheidet und der Präsidialausschuss, weil er für die Agenda der Aufsichtsratssitzung zuständig ist. Aber wenn man als Frau gerade in den Aufsichtsrat reinkommt, vor allem wenn es das erste Mandat ist, dann weiß man diese ganzen Sachen nicht.
Wenn man das ernst nimmt, ist das ein Haufen Arbeit, mit vielen Sitzungen und Workshops. Die Bezahlung ist nicht schlecht, aber deswegen sollte man es nicht machen.
Über Geld wurde nicht gesprochen. Ich wusste weder wie viel Geld wir hatten, ob es genug war oder wem was gehört. Noch wusste ich, ob meine Eltern ein gemeinsames Konto hatten oder jeder sein eigenes. Das war auch eine Form des Privilegs, denn Geld wird oft erst ein großes Thema im Alltag, wenn es zur existenziellen Sorge wird, und das war bei uns nicht so.
Meine Eltern waren sparsam. Statussymbole gab es bei uns nicht. Mein Vater fuhr einen uralten Passat, kam aber meistens eh mit dem Fahrrad ins Büro. Und ja, wir haben in einem großen Haus gewohnt, das war aber eher Fluch als Segen, weil es von 1880 ist, total kalt war, es zog und nicht gedämmt war. Außerdem wohnten wir direkt an den Eisenbahnschienen. Es war fürchterlich laut, wenn ein Zug vorbeifuhr. Es war für mich als Kind nicht ersichtlich, dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass das Geld nicht alle ist.
Mein Vater hat meine Schwester und mich schon so mit acht oder zehn Jahren zur örtlichen Sparkasse geschickt und gesagt, wir sollten uns Bundesschatzbriefe kaufen mit Geld, was wir zum Geburtstag oder zur Konfirmation bekamen. Da weiß ich noch immer, wie meine Schwester und ich in dieser Schalterhalle standen und dann da an den Tresen gingen. ‘Guten Tag, wir möchten gerne Bundesschatzbriefe Serie A kaufen’. Die haben damals noch zehn Prozent Zinsen gebracht, verrückt im Vergleich zu heute. Wir hatten beide aber natürlich keine Ahnung, was das eigentlich genau ist.
Ich musste nicht nur, ich wollte sogar. Mit 13 Jahren habe ich das Kirchenblatt ausgetragen, mit 16 Jahren habe ich bei Ikea angefangen. Da habe ich Kekse gebacken in einer Showküche mit Kindern, das war der beste Job. Später habe ich im Werbemittelhandel meiner Mutter gearbeitet, fünf Pfennig gab es pro verpacktem Karton. Dann habe ich noch diverse andere Jobs gehabt. Geld verdienen fand ich immer gut.
Geld zu verdienen gibt mir das Gefühl mein Leben selbst in der Hand zu haben. Deshalb war es mir immer wichtig, zu arbeiten und mein eigenes Geld zu verdienen. Aber Geld ist nicht mein Antrieb. Das kann ich aber auch nur deshalb sagen und fühlen, weil ich keine Geldsorgen habe.
Meine Eltern haben meine Wohnung und Lernmaterialien bezahlt, den Rest musste ich mir dazu verdienen. Und es gab auch gleich noch eine Lektion in Währungsrisiko dazu: Sie haben mir damals das Geld in D-Mark überwiesen und ich musste ja in Schweizer Franken meine Miete und alles bezahlen. Der Wechselkurs verschlechterte sich permanent und so bekam ich immer weniger Franken für meine D-Mark.
Wenn Geld übrig ist, nutze ich es in Dritteln. Für ein Drittel unterstütze ich dann Crowdfunding-Kampagnen oder spende. Ein Drittel gebe ich für Kurztrips oder Restaurantbesuche aus. Und ein Drittel geht auf die hohe Kante.
Nicht direkt nach dem Studium, aber später war das immer wieder eine Diskussion, weil ich die älteste Tochter bin und die älteste Enkeltochter. Wir werden jetzt nächstes Jahr 300 Jahre alt, ich wäre die erste Frau, es ist die zehnte Generation, eigentlich spricht alles dafür, zumindest rein äußerlich. Aber ich glaube, was man auch im Familienunternehmen lernt, ist, dass die Entwicklung des Unternehmens und der eigene Weg auseinanderfallen können. In den letzten 300 Jahren gab es bestimmt schon den ein oder anderen, der ins Unternehmen berufen wurde, obwohl es vielleicht nicht zu seinem Lebensentwurf gepasst hat. Aber dann war man halt so nibelungentreu und hat’s gemacht.
In meiner Kindheit und Jugend war die Nachfolge eher ein abstraktes Thema, weil mein Vater da selber ja noch sehr jung war und die Nachfolge noch in weiter Ferne. Als ich 26 Jahre alt war, stand ich an einer Weggabelung und hätte Richtung Familienunternehmen abbiegen können, aber da war im Unternehmen nicht der richtige Zeitpunkt. So bin ich Digitalunternehmerin geworden und meinen eigenen Weg gegangen. Heute wird unser Unternehmen sehr erfolgreich von externem Management geführt und ich bin Gesellschafterin und Beirätin.
Mein Vater ist ein moderner Vater und Manager. Er hat die Nachfolge nicht als Automatismus gesehen, sondern sich genau angeguckt, wer ich bin und was mich glücklich macht. Bestimmt hätte er es toll gefunden, wenn ich die Nachfolge antrete. Aber ist er jetzt enttäuscht? Nein. Er ist stolz auf den Weg, den ich jetzt gehe.
Ein Familienunternehmen birgt die Gefahr, dass man das Leben seiner Eltern sehr stark nachlebt. In der gleichen Stadt, womöglich noch in der gleichen Straße wohnt, die gleichen Routinen hat, in deren Fußstapfen tritt und jetzt schon weiß, wie das Leben mit 65 ungefähr aussieht. Und ganz ehrlich: Ich möchte eigentlich noch nicht mal wissen, was in drei Jahren ist. Deswegen bin ich glücklich darüber, mir ein eigenes Leben aufzubauen, das viele Überraschungen bereithält.
Ich habe Fox & Sheep aus einer Marktopportunität heraus 2011 gegründet. Ich habe damals gesehen, wie der App-Store explodiert, das iPad kam neu auf dem Markt, es gab relativ wenig gute Apps für Kinder. Ich war schon tief in dieser Szene drin, kannte schon viele Entwickler, das war eine Riesenchance. In der Folge habe ich mich viel mit digitaler Bildung beschäftigt und gesehen, dass viele gute Digitalprojekte gerade Kinder aus nicht wohlhabenden Familien einfach nicht erreichen. Da waren immer nur die, die schon Cello oder Hockey gespielt haben. Ich habe dann den Verein „Digitale Bildung für alle e.V.“ gegründet und habe das zu meinem Thema gemacht.
Die Politik hat verschlafen, die Infrastruktur aufzubauen: Glasfaser, Schul-Clouds, all das braucht es noch immer. Ich würde sagen, wir sind jetzt bei einer 4+, aber noch weit weg von einer guten Note. Am Ende braucht es in den Klassenzimmern einen Kulturwandel. Dort muss ganz selbstverständlich zwischen Tafel, iPad und Whiteboard gewechselt werden. Und es braucht Freiräume, um neue Lernmethoden und Zukunftskompetenzen zu vermitteln. Dafür kämpfe ich.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Verena Pausder wird 1979 in Hamburg geboren. Sie ist Expertin für Digitale Bildung, Gründerin von Fox & Sheep sowie den HABA Digitalwerkstätten und Unternehmerin. 2016 wurde sie vom Weltwirtschaftsforum zum „Young Global Leader” ernannt. Das Handelsblatt und BCG zeichneten sie 2020 zur Vordenkerin des Jahres aus. Ihr Buch „Das Neue Land“ ist Spiegel Bestseller. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Berlin.
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Verena Pausder, geborene Delius, hätte das gleichnamige Textil-Familienunternehmen übernehmen können. Stattdessen wurde sie Start-up-Gründerin und Vordenkerin. Im Interview spricht sie über Nachfolge, Geld in ihrer Jugend und ihre erste Investition: Bundesschatzbriefe.
Bestseller-Autorin, Vordenkerin des Jahres 2020, Ex-Aufsichtsrätin, Unternehmerin und eine der wichtigsten Meinungsmacherinnen in der Gründerszene und im Bereich Bildung in Deutschland: Das Leben von Verena Pausder ist enger getaktet als die Londoner U-Bahn. Zwischen 8 und 19 Uhr ist kaum etwas frei und E-Mails beantwortet sie meist erst später, wenn auch die Kinder im Bett sind. Trotz allem versucht sie, zwei Bücher die Woche zu lesen, ein großer Stapel türmt sich in Sichtweise ihres Bettes auf. Als älteste Tochter von Rudolf Delius wäre sie eigentlich prädestiniert gewesen, das Familienunternehmen zu übernehmen, hat sich aber dagegen entschieden. Sie hatte anderes vor – und davon viel.
Anfang des Jahres sechs Wochen komplette Offline-Zeit. Also offline auf allen Kanälen. Kein WhatsApp, keine E-Mails, kein Social Media. Stattdessen habe ich 16 Bücher gelesen. Das war nicht so, als hätte da die Zeit stillgestanden, weil wir ja auch vier Kinder haben und uns mit dem Homeschooling herumschlagen, aber irgendwie war das so ein Geschenk an mich selbst, dass mal Ruhe im Karton ist.
Digital Detox funktioniert nur für eine begrenzte Zeit. Erstens kann ich nicht länger als sechs Wochen keine E-Mails lesen, weil ich ja auch irgendwie noch einen Job habe. Und bei WhatsApp bin ich natürlich in den ganzen Schul-, Kita- und Sportvereingruppen. Das kann ich nicht dauerhaft ausschalten. Aber immerhin: So leicht, wie mir die sechs Wochen gefallen sind, kann ich jetzt selbstbewusst und mit Sicherheit sagen, dass ich nicht Social-Media-süchtig bin.
Zucker. Ich muss irgendwie nach jeder Mahlzeit etwas Süßes essen. Das habe ich jetzt auch schon an meine Kinder übergeben, was mein Mann ganz schrecklich findet. Auch wenn ich gestresst bin, gibt’s erstmal Schokolade.
Ich habe kein einziges Mandat oder Beiratsposten, bei dem ich mich nicht auch vernünftig engagiere. Ich bin niemand, der nirgendwo auftaucht, sich nicht blicken lässt und nachher nur auf der Webseite steht. Ich sage deshalb 95 Prozent der Anfragen ab, das wäre sonst gar nicht möglich. Ich weiß außerdem gut, wie ich für mich Stress abbaue: beim Sport und durch Zeit mit meinen Kindern. Die wollen einfach nur spielen und denen ist es komplett egal, was ich gerade für Stress habe. Meine Kinder sind eigentlich der beste Schutz vor mir selbst, weil ich einfach abbremsen muss.
Ich wollte schon immer ein Buch schreiben, schon als ich 18 war. Ich schreibe unglaublich gerne, habe oben bei mir 100 Tagebücher stehen, habe schon immer Reden geschrieben. Über die letzten Jahre gab’s immer mal wieder Angebote, ein Buch zu schreiben, aber dann habe ich jedes Mal in mich hineingehorcht und gesagt: „Ne, das ist die falsche Zeit, ich weiß auch gar nicht worüber ich jetzt schreiben sollte.” Dann sprach mich ein weiteres Mal ein Verlag im Oktober 2019 an, zwei Monate bevor ich aus meinem Unternehmen gegangen bin. Da habe ich gedacht, das passt jetzt. Den Vertrag haben wir dann unterschrieben, ohne genau zu wissen, was das Thema ist.
Ich habe das Buch in drei Monaten runter geschrieben und wäre kein Corona gewesen, hätte ich wahrscheinlich ein Jahr dafür gebraucht. Vom März bis Juni vergangenen Jahres war ja nichts los. Kein Wochenendtrip, keine Reise, gar nichts. Da konnte ich einfach viel recherchieren, viel lesen, viel schreiben.
Aufsichtsrätin ist kein Posten, den du mal so machst, damit es gut klingt. Das ist richtig viel Arbeit und man haftet mit Privatvermögen. Das macht niemand nebenbei.
Ich glaube, bei Aufsichtsräten hat es sich sehr gedreht, seitdem die 30-Prozent-Frauenquote zumindest für die großen Unternehmen da ist. Da sind ja auch entsprechend die Frauen in die Gremien reingekommen. Aber es gibt viele Faktoren, die es immer noch schwer machen, Aufsichtsrätin zu werden und darin auch gut zu sein.
Fehlendes informelles Wissen. Ein Beispiel: Es gibt Ausschüsse und die sind unterschiedlich wichtig. Der Nominierungsausschuss ist wichtig, weil er Nachbesetzungen entscheidet und der Präsidialausschuss, weil er für die Agenda der Aufsichtsratssitzung zuständig ist. Aber wenn man als Frau gerade in den Aufsichtsrat reinkommt, vor allem wenn es das erste Mandat ist, dann weiß man diese ganzen Sachen nicht.
Wenn man das ernst nimmt, ist das ein Haufen Arbeit, mit vielen Sitzungen und Workshops. Die Bezahlung ist nicht schlecht, aber deswegen sollte man es nicht machen.
Über Geld wurde nicht gesprochen. Ich wusste weder wie viel Geld wir hatten, ob es genug war oder wem was gehört. Noch wusste ich, ob meine Eltern ein gemeinsames Konto hatten oder jeder sein eigenes. Das war auch eine Form des Privilegs, denn Geld wird oft erst ein großes Thema im Alltag, wenn es zur existenziellen Sorge wird, und das war bei uns nicht so.
Meine Eltern waren sparsam. Statussymbole gab es bei uns nicht. Mein Vater fuhr einen uralten Passat, kam aber meistens eh mit dem Fahrrad ins Büro. Und ja, wir haben in einem großen Haus gewohnt, das war aber eher Fluch als Segen, weil es von 1880 ist, total kalt war, es zog und nicht gedämmt war. Außerdem wohnten wir direkt an den Eisenbahnschienen. Es war fürchterlich laut, wenn ein Zug vorbeifuhr. Es war für mich als Kind nicht ersichtlich, dass ich mir keine Sorgen machen muss, dass das Geld nicht alle ist.
Mein Vater hat meine Schwester und mich schon so mit acht oder zehn Jahren zur örtlichen Sparkasse geschickt und gesagt, wir sollten uns Bundesschatzbriefe kaufen mit Geld, was wir zum Geburtstag oder zur Konfirmation bekamen. Da weiß ich noch immer, wie meine Schwester und ich in dieser Schalterhalle standen und dann da an den Tresen gingen. ‘Guten Tag, wir möchten gerne Bundesschatzbriefe Serie A kaufen’. Die haben damals noch zehn Prozent Zinsen gebracht, verrückt im Vergleich zu heute. Wir hatten beide aber natürlich keine Ahnung, was das eigentlich genau ist.
Ich musste nicht nur, ich wollte sogar. Mit 13 Jahren habe ich das Kirchenblatt ausgetragen, mit 16 Jahren habe ich bei Ikea angefangen. Da habe ich Kekse gebacken in einer Showküche mit Kindern, das war der beste Job. Später habe ich im Werbemittelhandel meiner Mutter gearbeitet, fünf Pfennig gab es pro verpacktem Karton. Dann habe ich noch diverse andere Jobs gehabt. Geld verdienen fand ich immer gut.
Geld zu verdienen gibt mir das Gefühl mein Leben selbst in der Hand zu haben. Deshalb war es mir immer wichtig, zu arbeiten und mein eigenes Geld zu verdienen. Aber Geld ist nicht mein Antrieb. Das kann ich aber auch nur deshalb sagen und fühlen, weil ich keine Geldsorgen habe.
Meine Eltern haben meine Wohnung und Lernmaterialien bezahlt, den Rest musste ich mir dazu verdienen. Und es gab auch gleich noch eine Lektion in Währungsrisiko dazu: Sie haben mir damals das Geld in D-Mark überwiesen und ich musste ja in Schweizer Franken meine Miete und alles bezahlen. Der Wechselkurs verschlechterte sich permanent und so bekam ich immer weniger Franken für meine D-Mark.
Wenn Geld übrig ist, nutze ich es in Dritteln. Für ein Drittel unterstütze ich dann Crowdfunding-Kampagnen oder spende. Ein Drittel gebe ich für Kurztrips oder Restaurantbesuche aus. Und ein Drittel geht auf die hohe Kante.
Nicht direkt nach dem Studium, aber später war das immer wieder eine Diskussion, weil ich die älteste Tochter bin und die älteste Enkeltochter. Wir werden jetzt nächstes Jahr 300 Jahre alt, ich wäre die erste Frau, es ist die zehnte Generation, eigentlich spricht alles dafür, zumindest rein äußerlich. Aber ich glaube, was man auch im Familienunternehmen lernt, ist, dass die Entwicklung des Unternehmens und der eigene Weg auseinanderfallen können. In den letzten 300 Jahren gab es bestimmt schon den ein oder anderen, der ins Unternehmen berufen wurde, obwohl es vielleicht nicht zu seinem Lebensentwurf gepasst hat. Aber dann war man halt so nibelungentreu und hat’s gemacht.
In meiner Kindheit und Jugend war die Nachfolge eher ein abstraktes Thema, weil mein Vater da selber ja noch sehr jung war und die Nachfolge noch in weiter Ferne. Als ich 26 Jahre alt war, stand ich an einer Weggabelung und hätte Richtung Familienunternehmen abbiegen können, aber da war im Unternehmen nicht der richtige Zeitpunkt. So bin ich Digitalunternehmerin geworden und meinen eigenen Weg gegangen. Heute wird unser Unternehmen sehr erfolgreich von externem Management geführt und ich bin Gesellschafterin und Beirätin.
Mein Vater ist ein moderner Vater und Manager. Er hat die Nachfolge nicht als Automatismus gesehen, sondern sich genau angeguckt, wer ich bin und was mich glücklich macht. Bestimmt hätte er es toll gefunden, wenn ich die Nachfolge antrete. Aber ist er jetzt enttäuscht? Nein. Er ist stolz auf den Weg, den ich jetzt gehe.
Ein Familienunternehmen birgt die Gefahr, dass man das Leben seiner Eltern sehr stark nachlebt. In der gleichen Stadt, womöglich noch in der gleichen Straße wohnt, die gleichen Routinen hat, in deren Fußstapfen tritt und jetzt schon weiß, wie das Leben mit 65 ungefähr aussieht. Und ganz ehrlich: Ich möchte eigentlich noch nicht mal wissen, was in drei Jahren ist. Deswegen bin ich glücklich darüber, mir ein eigenes Leben aufzubauen, das viele Überraschungen bereithält.
Ich habe Fox & Sheep aus einer Marktopportunität heraus 2011 gegründet. Ich habe damals gesehen, wie der App-Store explodiert, das iPad kam neu auf dem Markt, es gab relativ wenig gute Apps für Kinder. Ich war schon tief in dieser Szene drin, kannte schon viele Entwickler, das war eine Riesenchance. In der Folge habe ich mich viel mit digitaler Bildung beschäftigt und gesehen, dass viele gute Digitalprojekte gerade Kinder aus nicht wohlhabenden Familien einfach nicht erreichen. Da waren immer nur die, die schon Cello oder Hockey gespielt haben. Ich habe dann den Verein „Digitale Bildung für alle e.V.“ gegründet und habe das zu meinem Thema gemacht.
Die Politik hat verschlafen, die Infrastruktur aufzubauen: Glasfaser, Schul-Clouds, all das braucht es noch immer. Ich würde sagen, wir sind jetzt bei einer 4+, aber noch weit weg von einer guten Note. Am Ende braucht es in den Klassenzimmern einen Kulturwandel. Dort muss ganz selbstverständlich zwischen Tafel, iPad und Whiteboard gewechselt werden. Und es braucht Freiräume, um neue Lernmethoden und Zukunftskompetenzen zu vermitteln. Dafür kämpfe ich.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Verena Pausder wird 1979 in Hamburg geboren. Sie ist Expertin für Digitale Bildung, Gründerin von Fox & Sheep sowie den HABA Digitalwerkstätten und Unternehmerin. 2016 wurde sie vom Weltwirtschaftsforum zum „Young Global Leader” ernannt. Das Handelsblatt und BCG zeichneten sie 2020 zur Vordenkerin des Jahres aus. Ihr Buch „Das Neue Land“ ist Spiegel Bestseller. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Berlin.
Über den Autor
Nils Wischmeyer
Nils Wischmeyer schreibt über Finanzmärkte, Geldanlage, Banken, Bankenregulierung und Wirtschaftskriminalität.